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Ausstellungen
2021 in vitro, Konsumverein. Braunschweig
2020 mimikry, Torhaus Nord, Braunschweig
2019 weniger ist mehr, Halle 267, Braunschweig
2019 Prekäre Situationen und weitere Aktivitäten, Kunstverein & Stiftung,Neuenkirchen
2019 schnittraum, HBK Braunschweig
2019 Hannover Rück, Meisterschüler 2019
2018 panorama, Diplomaustellung, ARTmax, Braunschweig
2018 Orte meiner Träume, Haus der Kulturen, Braunschweig
2018 anonyme Zeichner, Berlin
2018 something old, something new, something borrowed, something blue - Städtische Galerie Delmenhorst
2013 Romantik 2.0, Kulturanker, Magdeburg
2012 17. mhh-kestnerschau „nach strich und faden“, Hannover
Publikationen
Gestaltung für Aisthesis, "Zmysłowość i racjonalność w estetyce tradycjonalnej i wspołczesnej" Agnieszka Bandura, universitas, 2013
Poltics of erasure. Conferences and Studies of the Polish Institute of World Art Studies, Edited by Anna Markowska, 2014





Dr. Agnieszka Bandura

Präparierung der Realität – Zeichnungen von Ewa Lesny

„präpairieren”

1. etwas zum Gebrauch vorbereiten, bestimmte Zutaten verbinden oder sie entschprechend vorbereiten;

2. verändern oder anpassen von Fakten

3. Anfertigung von anatomischen Präparaten, Zoologischen u.s.w.

[polnisches Wörterbuch online, 2019]

In Michel Huellebecqs Roman Karte und Gebiet (La carte et le territoire von 2010) beginnt der Protagonist, Jed Martin, eine künstlerischer Karierre die ihm zum Durchbruch verhilft.

Er fotografiert Michelin-Karten und ist beeindruckt von der Schönheit der scheinbar unästhetischen Bilder und Zeichnungen mit rein praktischer Bestimmung. Er bildet in seinen Fotografien die Schönheit des kommunikativen Verbindungsnetzes, die Dichte der Bevölkerung, Umrisse der Gebäude, Linien der Bahntrassen und Gewässer ab.

Mit einer ähnlichen Sensibilität skizziert Ewa Lesny in ihren Zeichnungen, scheinbar belanglose, zufällige, flüchtige, hineinwachsende Strukturen/Muster der uns umgebenden Dinge und Räume.

Natürliche Umrisse, Schatten, Übergänge, Grenzen, Ränder, Defekte, mechanische Brüche, unklare Strukturen, Ansiedlungen, Erinnerungen, Fosilien.

Die Zeichnung kehrt in ihren renaissanceartigen Ursprung zurück (disegno) – in der Hand, im Auge, in der Vorstellung der Künstlerin, wird die Zeichnung zu einer Untersuchungstudie, die prüft was ist; „ein Instrument zur Erkenntnis” (EL)

In dieser „Konfrontation mit der Wirklichkeit” (EL) verliert sie jedoch nicht die erfinderische Kraft fiktive Geschichten, Kontinuitäten und Formen, zum Leben zu erwecken.

Sie eröffnet Passagen zwischen Realem und Fiktivem (dichterisch, fiktiv, illusorisch).

Eine Fantasievorstellung, verwurzelnd und kultivierend auf der Grundlage der Realität.

Wie, fast ein Jahrhundert zuvor, die Fotografen der neuen Sachlichkeit (Moholy-Nagy, Finsler, u.a.), durchführt die Künstlerin eine genaue optische Analyse dessen, was der gewöhnlichen Wahrnehmung, vorgeschrieben ist, präpariert flüchtige Fragmente der Umgebung, konserviert Proben der Realität in überraschenden trompes d’oeil.

Die Zeichnung nimmt die Form einer Erweiterung der Realität an, ihr Präparat/ sample – eine Illusion. Die mimesis – ursprünglich. Die Erkenntnis - unwillkürlich. Die Schönheit – detailiert.

Walter Benjamin schrieb dem Kleinen, Unscheinbaren und Unbedeutenden ein Daseinsberechtigung zu, in der Überzeugung, dass das Detail, Gewicht und Macht über den Blick steht.

Der „mikroskopischen” Blick des Flaneurs, dessen Blick über Peripherien schweift, über die Ränder der Sichtbarkeit, nicht abtastend, keinem praktischem Ziel folgend, nicht ordnend sondern das Recht der Mikrogeschichten der Gegenstände übergebend – Zeugnissen der toten Vergangenheit, der Fosilien. Schön, weil unbedeutend.

Es gibt also ein Detail.

Ein bekannter Liebhaber und Forscher des Details, Daniel Arrase (nach Paul Klee und Kenneth Clark), unterstreicht ein autentisches (orginaire) Potenzial eines „detailierten” Sehens, „eines Sehens aus der Nähe, welches an der Oberfläche kratzt, sich an die Erfahrung der Intimität reibt”, Des Künstlers, des Werkes und des künstlerischen Entstehungsprozesses 1.

Das deteilierte Sehen garantiert „Belohnungen” und „Überraschungen” und erlaubt uns gleichzeitig zu sehen „was ist, und nicht das was man weiß” (EL). Der Blick über die „Ausschnitte/Details/Fragmente erlaubt das herauszufiltern was sonst nicht ans Tageslicht gelangen würde” 2.

Ein Fragment, eine Ausnahme, ein Fetzen ist selbstlos, autonom, unabhängig - ist von praktischen Funktionen ausgenommen, bricht mit common sense und erlaubt es, sich auf die nach Kant, utopischen Dinge an sich zu konzentrieren.

Willkürlich wird die Realität zerstört/hinterfragt. Gewohntes Sehen – macht es irreal und gegensätzlich.

Detailiertes sehen, ein kurzes Entzüken des Moments, verursacht eine ausergewöhnliche epoché – eine Störung oder Enthebung des vorhersehbaren Sehens der visuellen und praktischen Quellen.

Das Zeichnen eines Fragmentes hat eine katharsische Bedeutung – es bringt uns zu der Ursprungswahrnehmung zurück, zu dem erstem Sehen, beschenkt uns mit einer Anweisung zum hier und jetzt, zum Ding an sich.

Es findet eine obszessive Multiplikation von sich wiederholenden Linien, Spuren, Shilouetten, Muster und Dergleichen statt.

So wie die Zeichnungen der Unica Zürn, aus den Zeit ihrer Beziehung mit Hans Bellmer (1960 bis zu ihrem tragischem Tod 1970), keine unüberlegten Mechanismen sind. So sind es auch nicht die Arbeiten von EL. Eher therapeutisch, zeichnerisch, versteckte Bedeutungen enthüllend, Koinzidenzen der Gedanken Emotionen und Fakten.

Skizzieren, Zeichnen, disegno, erinnert an eine Archivierung der Objekte, Fakten, Geschichten. Es erlaubt mehr zu sehen, erlaubt vielleicht sogar ein absolutes Sehen, ein Sehen nach einem götttlichem Prinzip.

„Wir sprechen über ein Detail wenn wir einer genauen Darstellung eines Gegenstandes begegnen, bis ins kleinste Detail” Eine vollkommene, unfassbare Imitation, gleichzeitig Ungreifbar in ihrer Vollkommenheit/ Gänze und Einzelheit.

Die Tradition der Renaissance, Entstehungsgeschichte/Genese „disegno”: segno di Dio in noi (signo de Dios en nosotros – ist ein göttliches Element, Spur/ Veränderung im Menschen). Kommt die Zeichnung der göttlichen Vsion nahe – alles gleichzeitig zu sehen/ wahrzunehmen.

Wie Iwona Lorenc schreibt, strebt die Zeichnung nach göttlicher Vollkommenheit, bleibt aber gleichzeitig eine Zeichnung, eine minimalistische, ein Lackmuspapierchen der zeitgenössichen Kunst und Ästhetik.

„Minima aesthetica” ist keine Ästhetik, die die Unzulänglichkeiten des Verstandes, auf dessen Weg zur dem Ursprünglichen, Wesentlichen, Ontologischen und Fundamentalen umgehen möchte.

Der fehlende Zugang zu dem Bereich jener Ästhetik ist offensichtlich, offeriert jedoch im Gegenzug eine alternative Methode einer forschenden Sensibilität, die dort haftet was anhaltend, faktisch, fragmentarisch, vergänglich, kontigend, innerlich nicht identizifierbar ist, etwas das eine Antwort auf die Art und Weise betrachtenden, zeitgenössischen Kultur wirft und damit auf die auftretenden Veränderungen in der heutigen Kunst”.

1 D. Arrase, Detal. Historia malarstwa w zbliżeniu, przeł. A. Arno, Kraków 2013, s. 6

2 D. Arrase, Detal. Historia malarstwa w zbliżeniu, s. 5.


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